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Roland Jahn

Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, Berlin

Roland Jahn wird 1953 in Jena geboren.
In der Schulzeit vermerkt die Klassenlehrerin im Zeugnis der 8.Klasse, dass er dazu neige "in Opposition zu treten." Doch zunächst läuft Jahns Leben in den Bahnen der DDR. Nach dem Abitur 1972 leistet er bis 1974 Grundwehrdienst bei der kasernierten Bereitschaftspolizei in Rudolstadt.
1975 beginnt er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Jena. Anfang 1977 wird er exmatrikuliert, weil er zuvor gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann Stellung bezieht. Infolge wird er ab März 1977 als Transportarbeiter zur "Bewährung in die Produktion" beim VEB Carl-Zeiss-Jena geschickt. Er protestiert einfallsreich gegen das Bildungsverbot und trägt bei der 1. Mai Demo im Meer der Parteisprüche ein weißes, leeres Plakat – ein Protest gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Einen Anwerbeversuch der Staatssicherheit weist er zurück.
Eine Zäsur im Leben ist der Tod seines Freundes Matthias Domaschk, der am 12. April 1981 in der Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Gera ums Leben kommt. Ein Jahr später schaltet Jahn in der Jenaer Lokalpresse eine Traueranzeige und besorgt sich Dutzende von Exemplaren, aus denen er die Anzeige ausschneidet und an Wände und Lichtkästen klebt. Auch die bundesdeutschen Medien erfahren vom Tod des jungen Freundes. Der Tod in Stasi-U-Haft wird öffentlich.
1982 protestiert Jahn auf der offiziellen 1. Mai Demonstration gegen Diktatur, in dem er sich an den Straßenrand stellt, zur Hälfte je mit Hitler- und Stalin-Bart maskiert, und so "die Parade abnimmt". Später verschickt er auch Postkarten mit dem Motiv. Am 1. September 1982 nimmt die Stasi eine kleine polnische Fahne mit dem Schriftzug "Solidarnosc z polskim narodem" (Solidarität mit dem polnischen Volk) an seinem Fahrrad zum Anlass, ihn zu verhaften.
Nach fünf Monaten Untersuchungshaft wird Jahn im Januar 1983 vom Geraer Kreisgericht zu 22 Monaten Freiheitsstrafe wegen "öffentlicher Herabwürdigung der staatlichen Ordnung" und "Missachtung staatlicher Symbole" verurteilt. Nach internationalen Protesten gegen seine Inhaftierung – und die weiterer Jenaer Oppositioneller – wird er Ende Februar 1983, nach insgesamt sechs Monaten Haft, frei gelassen. Er widerruft den im Gefängnis gestellten Ausreiseantrag.
Er gründet mit Freunden die Friedensgemeinschaft Jena, die am 18.März 1983 erstmals als kirchenunabhängige Oppositionsgruppe bei einer öffentlich Veranstaltung auftritt – einer Demonstration zur Erinnerung an die Opfer des Bombenangriffs auf Jena am 19.März 1945. Weitere Demonstrationen mit eigenen Plakaten folgen, so beim FDJ-Pfingstreffen, auf dem die Gruppe gegen die zunehmende Militarisierung der DDR demonstriert.
Am 8. Juni 1983 wird Roland Jahn auf das Jenaer Wohnungsamt bestellt, Teil eines von Stasi-Minister Mielke persönlich abgezeichneten Maßnahmeplans der Staatssicherheit. Ihm wird die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR mitgeteilt und er wird gegen seinen Willen in Knebelketten gefesselt gewaltsam aus seiner Heimat gebracht. Die Stasi sperrt ihn in den letzten Waggon eines Interzonenzuges, sein Abteil wird erst in der Bundesrepublik wieder geöffnet.
Roland Jahn lässt sich in West-Berlin nieder und bleibt in engem Kontakt zu DDR-Oppositionsgruppen. Für sie baut er eine Brücke in zahlreiche Medien, darunter die ZDF-Redaktion "Kennzeichen D", die Tageszeitung "taz", den RIAS und das ARD-Magazin "Kontraste". Für die DDR-Opposition beschafft er Druckmaschinen und Videokameras und lässt sie in den Osten schmuggeln.
Auch im Westen bleibt Jahn Zielscheibe der Stasi. Sie fertigt Skizzen seiner Wohnung an, hört seine Telefonate ab, schleust IM in sein Umfeld. Sogar ein Einsatzplan mit "Absperrpunkten" rund um sein Kreuzberger Wohnhaus wird angefertigt, um gegebenenfalls gegen ihn vorzugehen.
Mit dem Fall der Mauer beginnt für Roland Jahn, nun als Autor und Redakteur des ARD-Fernsehmagazins "Kontraste", eine intensive journalistische Auseinandersetzung mit der Hinterlassenschaft der DDR-Diktatur. 2006 wird er Chef vom Dienst und stellvertretender Redaktionsleiter.
Seit 1996 ist Roland Jahn Beiratsmitglied der Robert-Havemann-Gesellschaft. 1999 wird er Mitglied des Fachbeirats der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und ist von 2006 bis 2010 Mitglied im Beirat der Stiftung Berliner Mauer. 1998 erhält Jahn das Bundesverdienstkreuz, 2005 den Bürgerpreis zur Deutschen Einheit der Bundeszentrale für politische Bildung und 2010 die "Dankbarkeitsmedaille" der Solidarnosc.
Am 28. Januar 2011 wählt ihn der Deutsche Bundestag mit fraktionsübergreifender Mehrheit zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Er folgt damit auf Marianne Birthler (2000 - 2011) und Joachim Gauck (1990 - 2000).
Am 9. Juni 2016 wird er vom Deutschen Bundestag für eine zweite Amtszeit von fünf Jahren wiedergewählt.

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